Gemeinschaft auf Zeit:  Wissen teilen, Neues erforschen, einander begegnen – miteinander sein

Gedanken zur Delegationsreise nach Pilsen und Prag vom 05.06. bis 09.06.2023 im Rahmen der “Bavarian-Czech-Platform for the Independent Performing Arts”

von Julia Opitz

Gemeinschaft auf Zeit

Nicht etwa ein vollgefülltes Programm, das sofort innere Überforderung hervorrufen könnte, stand im Zentrum des viertägigen Zusammenkommens bayerischer mit tschechischen Akteur:innen der freien darstellenden Künste im Juni 2023 in Pilsen und Prag. Vielmehr bildete das gemeinsame Erkunden freier (Denk-)Räume den Fokus – stets geprägt von einem echten gegenseitigen Interesse zwischen den Projektbeteiligten aus ganz Bayern, Pilsen und Prag. Der Geist dieser außergewöhnlichen Tage evozierte ein besonderes Hier und Jetzt, eine Gemeinschaft auf Zeit sozusagen, in der Wissenstransfer, das stetige Erkunden neuer (performativer) Landschaften und das Knüpfen von Kontakten sich scheinbar beiläufig als neue Alltagspraxis etablierte.

Mitglieder der bayerischen Delegation in Prag; Credits: Michaela Seifert

Neue Netzwerke fanden ihren Anfangspunkt, gegenwärtige künstlerische Arbeitsformen lokaler Akteur:innen wurden erforscht, inszenatorische Handschriften kennengelernt, diskursive Rahmungen gemeinsam erörtert und der Blick immer wieder auf europaweite kulturpolitische Fragestellungen gerückt: Wer sind WIR, wer wollen WIR (gemeinsam) sein und was brauchen WIR dafür?  

Pilsen: Neue Räume

Durch den Besuch zweier verschiedener Pilsener Kulturorte konnten die Reisenden aus Bayern schnell vielseitige Eindrücke darüber gewinnen, was die Theaterlandschaft dieser architektonisch wie atmosphärisch sehr eindrücklichen Stadt ausmacht: “Wenn Installationen die Innenhöfe schmücken, Kultur unter Lichterketten stattfindet und die Theaterräume mit eigenen Bars und Cafés immer gleichzeitig Orte der Nachbarschaft und Begegnung sind, ist man in Tschechien angekommen”, so Delegierte Paulina Platzer in ihrer Reflexion über die Reise. Und ich kann dieser Skizzierung nur zustimmen.
Wir besuchten das “Depo 2015”, eine ehemalige Zuckerfabrik und später Lagerhalle für Busse, die 2015, als Pilsen den Titel “Kulturhauptstadt Europas” erhielt zum multifunktionalen Kulturort um-entwickelt wurde. Das “Depo 2015” bietet ausreichend Platz für Formate wie u.a. Ausstellungen, Performances, Konzerte aber beispielsweise auch für das kreative Arbeiten in Werkstätten und Ateliers oder sog. Pop-Up-Stores.

Zudem besichtigen wir die “Moving Station”, eine architektonisch wunderschön anmutende ehemalige Wartehalle eines Bahnhofs, die zum Theater umfunktioniert wurde und sahen dort eine Performance tschechischer Künstler:innen aus dem Bereich des zeitgenössischen Zirkus. Beide Spielortbegehungen und vor allem die Begegnungen mit den Menschen vor Ort hinterlassen große Faszination bei allen Delegationsmitgliedern.

Prag: Konferieren, Vernetzung, künstlerische Praxis

In Prag stand die Teilnahme an einer zweitägigen internationalen Konferenz zu gesellschaftlichen und kulturpolitischen Fragestellungen in verschiedenen Ländern Europas als gemeinsame Aktivität der bayerischen Delegation im Mittelpunkt. Verantwortet durch den tschechischen Verband “And. Čr” und verbunden mit “EAIPA” (European Association of Independent Performing Arts) bat die Konferenz erstmals die Möglichkeit, die bayerisch-tschechische Plattform einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren. Die Initiator:innen Julia Opitz und Axel Tangerding für die bayerische Seite sowie Kryštof Koláček, der selbst die europaweite Konferenz konzipierte, und Petr Dlouhý für die tschechische Seite sowie alle 17 bayerische Delegierte sprachen über Ideen des Austauschs und die vielseitigen Potenziale der Vernetzung “aus und in nächster Nähe”.

Jenseits des vielstimmigen Tagungsprogramms, das diverse europäische Perspektiven auf Theater, Performance, Tanz und Kulturpolitik sichtbar machte und reflektierte sowie u.a. die Themen Nachhaltigkeit, Förderstrukturen, postpandemische Anforderungen, politische Repression fokussierte, arrangierte Kurator und Projektleiter Petr Dlouhý individuelle Begegnungen zwischen bayerischen Akteur:innen und tschechischen lokalen Partner:innen.  Im Rückblick auf die Reise und die Vernetzungspotenziale wurden diese Begegnungen von Seiten der bayerischen Delegation als besonders wertvoll eingeschätzt.

Nicht zuletzt zeigten bayerische Künstler:innen aus Ansbach und München ihre Arbeiten in Prag, sodass nicht nur die Reisegruppe aus Bayern ein diverses Programm aus abendfüllenden lokalen Inszenierungen erleben konnte, sondern auch die tschechische lokale Szene erste Einblicke in Arbeitsweisen aus Bayern erhielt.

Auf struktureller Ebene ist besonders hervorzuheben, dass Verterter:innen der beiden Verbände, die das Plattform-Projekt  kooperativ tragen (“And. Čr” & “vfdkb” ) in einen persönlichen Austausch kamen und nun – in persönlicher Verbindung zueinander – längerfristig kooperieren wollen.

Resümee: Offen sein, Perspektiven erweitern, gemeinsam gestalten

Vielseitige Gespräche über Arbeitsformen, kulturelle Praxen und jeweils lokal gegebenen Strukturen prägten den Austausch aller derer, die einander begegneten in diesen vier Tagen. Ebenso von großer Bedeutung für ein wachsendes Miteinander war der Besuch künstlerischer Veranstaltungen, in die wir als bayerischen Gäste mehrfach eintauchen durften.

Und es wird weitere gegenseitige Besuche geben, zum Glück. Im Herbst in einigen Städten Bayerns, im Jahr 2024 – sollte die Finanzierung von bayerischer Seite dafür ausreichend gefunden werden – dezidiert in ländlicheren Räumen Tschechiens und Bayerns. Wissensaustausch und kreative Formen der Begegnung werden für die Weiterentwicklung der bayerisch-tschechischen Plattform zentral bleiben, genauso wie Prozessorientierung und Ergebnisoffenheit.


Temporary community: Sharing knowledge, exploring new things, meeting each other – being with each other

Thoughts on the delegation trip to Pilsen and Prague from 05.06.-09.06.2023 within the framework of the Bavarian-Czech Platform for the Independent Performing Arts

by Julia Opitz

The four-day meeting of Bavarian and Czech actors of the independent performing arts in Pilsen and Prague in June 2023 did not focus on a packed programme that could immediately cause inner overload. Rather, the focus was on exploring free (thinking) spaces together – always characterised by a genuine mutual interest between the project participants from all over Bavaria, Pilsen and Prague. The spirit of these extraordinary days evoked a special here and now, a temporary community, so to speak, in which knowledge transfer, the constant exploration of new (performative) landscapes and the forging of contacts established themselves seemingly casually as a new everyday practice.

Lively discussions took place in Prague; Credits: Michaela Seifert

New networks found their starting point, current artistic forms of work by local actors were explored, signatures of staging were learned about, discursive frameworks were discussed together and the focus was on Europe-wide cultural-political questions: Who are WE, who do WE want to be (together) and what do WE need for this?

Diverse conversations about cultural practices and local structures shaped the exchange between all those who met during these four days. Equally important for a growing togetherness was the visit to artistic events of local actors, in which we could immerse ourselves as “Bavarian” guests in Pilsen and Prague. And not to forget the various visits to venues whose representatives met us with great openness and warmth. “When installations decorate the courtyards, culture takes place under fairy lights and the theatre spaces with their own bars and cafés are always places of neighbourliness and encounter, then you have arrived in the Czech Republic,” said Paulina Platzer, delegate from Munich.

In Prague, the focus was on attending a two-day international conference on social and cultural policy issues in various European countries as a joint activity of the Bavarian delegation. Responsible by the Czech association “And. Čr” and connected with “EAIPA” (European Association of Independent Performing Arts). Beyond the many-voiced conference programme in which the Bavarian group took part, curator and project manager Petr Dlouhý arranged individual encounters between Bavarian actors and Czech local partners. Looking back on the trip and the networking potential, the Bavarian delegation found these encounters particularly valuable.

Last but not least, Bavarian artists from Ansbach and Munich showed their work in Prague, so that not only the group from Bavaria was able to experience a diverse programme of full-length local productions, but the Czech local scene also gained its first insights into working methods from Bavaria. On a structural level, it should be emphasised that representatives of the two associations that cooperatively support the platform project (“And. Čr” & “vfdkb”) came into direct exchange and now – in personal contact with each other – want to cooperate in the longer term.

And further reciprocal visits are planned, fortunately – in autumn 2023 in some towns in Bavaria, in 2024 – if sufficient funding is found from the Bavarian side – decidedly in more rural areas of the Czech Republic and Bavaria. The project initiators Julia Opitz and Axel Tangerding for the Bavarian side and Kryštof Koláček and Petr Dlouhý for the Czech side emphasise that knowledge transfer and creative forms of encounter will remain central to the further development of the Bavarian-Czech platform, as will process orientation and openness to results.