Dimensionen nachhaltiger Förderung – Bericht zum Nachhaltigkeitstag des vfdkb

Nachhaltigkeit ist ein drängendes Thema – auch und gerade in den freien darstellenden Künsten. Entsprechend freute sich der Verband Freie Darstellende Künste Bayern e.V. (vfdkb), am 08.10.2022 im Augsburger Sensemble Theater den Blick auf nachhaltige Förderungen und Förderstrukturen in ganz Bayern richten zu können.

Harald Redmer und Aron Weigl führten durch die Veranstaltung. Copyright: vfdkb

Der Verband organisierte die Veranstaltung dabei in Kooperation mit dem bundesweiten Modellprojekt Performing Arts – Performing Future des Bundesverbands Freie Darstellende Künste (BFDK). In dessen Rahmen werden mithilfe von Expert*innen, vorrangig aus dem Netzwerk Performing for Future und kooperierenden Landesverbänden, Theorie- und Praxiswissen zu Nachhaltigkeit in den freien darstellenden Künsten vermittelt. In Augsburg führten Harald Redmer, ehemaliger Leiter des Landesverbands Nordrhein-Westfalen und früherer Vorsitzender des BFDK, und Aron Weigl, Referent für Forschung und Beratung bei Educult, durch die Veranstaltung.

Nach der Begrüßung der Gäste – vor Ort in Augsburg und online im zoom-Meeting – durch vfdkb-Vorsitzende Daniela Aue eröffneten Daniela Koss, Referentin für Theater und Soziokultur bei der Stiftung Niedersachsen, und Aron Weigl die Veranstaltung mit Impulsvorträgen zum Themenkomplex „Nachhaltigkeit und Förderstrukturen“. Beide fassten „Nachhaltigkeit“ nicht lediglich als ökologisches Konzept, sondern als einen auf vier Säulen fußendem Konnex aus ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Komponenten – also als umfassendes Konzept sozialer Gerechtigkeit und bewussten Umgangs mit Ressourcen. Die Sphäre der Kultur tritt in dieser Perspektive als eine zentrale gesellschaftliche Schaltstelle hervor, ohne deren Berücksichtigung der Weg zu einem umfassenden Konzept von Nachhaltigkeit nicht gelingen kann – ein Umstand, den auch die EU-Kommission im Rahmen ihres „Green Deals“ gewürdigt hat. So weist die Kommission gerade die Kunst als eine wichtige Stelle der kreativen Problemlösung und der Vermittlung nachhaltigen Denkens aus.

Starre Strukturen verhindern nachhaltige Innovationen

Auch innerhalb der Sphäre des Kulturellen und der diversen Förderlandschaften müssten im Streben nach Nachhaltigkeit alle vier Säulen berücksichtigt werden, wie Koss hervorhebt: „Der nachhaltige Gedanke muss stets wichtiger sein als eine bloße Einsparung von Kosten“. Entsprechend verweist Koss auf das Förderprogramm NOW! der Stiftung Niedersachsen, in dessen Rahmen das Thema Nachhaltigkeit nicht nur kreativ bearbeitet wird, sondern kleine Kultureinrichtungen auch in Bezug auf die Entwicklung von Klimabilanzen und die Teilnahme an Weiterbildungsprogrammen unterstützt werden. Zu einem nachhaltigen, auf langfristige Entwicklungen bedachten Verständnis von Kunst und Kultur gehört für Weigl nicht zuletzt eine Loslösung der Förderungen von einer bloßen Fokussierung auf immer wieder neue Projekte: Gerade die freien darstellenden Künsten hätten im Zuge der Corona-Situation zwar eine Ausdifferenzierung der Förderlandschaft, etwa mit Blick auf ein verstärktes Angebot von Stipendien und Recherchemöglichkeiten, erlebt, Weigl weist mit Blick auf die Umfrage „Arbeit und Förderung der freien darstellenden Künste in Zeiten von Covid-19“ jedoch darauf hin, dass mittlerweile wieder verstärkt kurzfristige Projektförderungen im Mittelpunkt vieler Förderprogramme stünden. Dabei würde sich eine nachhaltige Perspektive für Künstler*innen wie Förderer*innen auszahlen: „Nachhaltiges Fördern unterstützt Resilienz, fokussiert künstlerische Weiterentwicklung und schließt zukünftige Generationen mit ein.“

Daniela Aue, Aron Weigl und Harald Redmer diskutieren mit den anwesenden Künstler*innen. Copyright: Martin Pfeil

Harald Redmer verweist in seinem anschließenden Kurzvortrag „Nachhaltige Arbeitsstrukturen als Voraussetzung für gelingende künstlerische Praxis in der freien darstellenden Szene“ auf bestehende Problematiken im Rahmen der freien darstellenden Künste, die einer umfassenden Nachhaltigkeit nach wie vor im Wege stünden: Nicht nur würde der Fokus auf Projektförderungen Abhängigkeiten schaffen und wenig Raum für Recherche und Reflexion bieten. In den freien darstellenden Künsten bestünde außerdem ein Mangel an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und dauerhaften Arbeitsverbindungen. Die starren Fördermöglichkeiten und die umfangreiche Bürokratie böten dabei kaum ökologische und ökonomische Anpassungsmöglichkeiten. Die bayerischen Künstler*innen verweisen zudem auf die spezifischen Probleme im Freistaat: Von den Hindernissen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen institutionell Geförderten und freier Szene wegen des Problems der Doppelförderung über sehr kurzfristige Förderungen im Rahmen des Haushaltsbudgets des Landes bis zur Vorgabe, dass Freie Häuser jährlich 100 eigenproduzierte Vorstellungen leisten müssen. In kleineren Kommunen ist eine derartige Anzahl von Vorstellungen meist nicht leistbar oder auch nicht sinnvoll. Entweder führt die Regelung dazu, dass in ländlicheren Regionen freie Spielstätten überhaupt keine staatliche Förderung erhalten, weil sie „die 100“ nicht erreichen. Oder es besteht die Gefahr, dass durch die hohe Anzahl der Aufführungen ein „Überangebot“ entsteht.

Kulturschaffende fordern umfassende Reform des bayerischen Förderwesens

In Kleingruppen und anschließend im Plenum diskutierten die Teilnehmer*innen ihre Ideen für eine nachhaltigere Gestaltung der Förderlandschaft in den freien darstellenden Künsten.

So forderten die versammelten Kulturschaffenden eine Reform des bayerischen Förderwesens, auch bezüglich des Schaffens von Freiräumen in der Kalkulation und der vermehrten Bereitstellung von Geldern für Entwicklung, Prozessförderung und Recherche. Neben der Förderung lokaler, verschiedene Institutionen und Sparten verbindender Produktionshäuser regten die Kulturschaffenden zudem den Aufbau zentraler Beratungsstellen für freie Akteur*innen und die bessere finanzielle Ausstattung von Interessenverbänden wie dem vfdkb sowie eine dezidierte Unterstützung bei Übergabeprozessen an. Die Kulturämter wurden dazu aufgerufen, sich gemeinsam mit der jeweiligen freien Szene um nachhaltige Mobilitätskonzepte und gemeinsame Ticketing-Systeme zu bemühen. Schließlich sei, wie eine Teilnehmerin feststellte, „die freie Szene oft stärker und länger in einer Region verhaftet als die wechselnden Intendant*innen und Ensembles vieler Stadttheater.“ Kunst und kulturelle Bildung müssten dabei als zentrale Ressource der demokratischen Gesellschaft anerkannt werden – und damit als ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil von Nachhaltigkeit.

Die Forderungen und Ideen des vfdkb-Nachhaltigkeitstags fanden knapp eine Woche später mit der vfdkb-Vorsitzenden Daniela Aue ihren Weg auf die Podiumsbühne des Münchener „Freischwimmen meets Rodeo“-Festivals. Der Schwerpunkt der Diskussionen im Rahmen des Plenums „Neustart erforderlich? Die freien darstellenden Künste zwischen Krise und Transformation“ lag dabei auf der Förderarchitektur Bund-Stadt-Land. Gemeinsam mit Helge-Björn Meyer, dem Geschäftsführer des BFDK, Sanne Kurz, Mitglied des Bayerischen Landtags (Bündnis 90/Die Grünen) und Julian Warner, dem neuen künstlerischen Leiter des Brechtfestivals in Augsburg, sprach Aue über die Notwendigkeit fairer Honorare und der nachhaltigen Bereitstellung von Ressourcen, die Achtung von Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit in den freien darstellenden Künsten und die Dringlichkeit erhöhter Budgets und angepasster Richtlinien. Insbesondere müsse die Zusammenarbeit zwischen freien Häusern und Einzelkünstler*innen bzw. Ensembles erleichtert werden: „Unser Ziel ist es, Ressourcen wie Raum, Technik und Personal, aber auch künstlerischen Input zu teilen.“

Die vielseitigen Ideen, Anregungen und Forderungen zum Themenkomplex Kultur und Nachhaltigkeit gehören für den vfdkb zum Kernbereich seiner kulturpolitischen Arbeit. Das Vorstandsteam freut sich darauf, die notwendigen Innovationen in enger Abstimmung mit der Mitgliedschaft entschieden – und im besten Sinne nachhaltig –  voranzutreiben.