Der vfdkb bei Malá Inventura: Unsere Eindrücke aus Prag

Im Rahmen der 2022 zwischen dem tschechischen und dem bayerischen Landesverband der freien darstellenden Künste gegründeten Kooperationsplattform „ČZ-BY-Platform for the Independent Performing Arts“ fand Ende Februar eine Exkursion der bayerischen Delegation nach Prag statt. Anlass war der Besuch des Freieszenefestivals „Malá Inventura“. Die Reise nach Tschechien hat bei unseren Künstler*innen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Unser Team in Prag: Paulina Platzer, Julia Opitz, Felix Forsbach, Daniela Aue, Friederike Engel (v.l.); Credits: Julia Opitz

Felix Forsbach, Künstler aus Bamberg: „Ernst zu nehmen, ohne sich zu ernst zu nehmen“

Der Besuch als bayerischer Delegierter des Festivals Malá Inventura in Prag wird in bleibender Erinnerung bleiben. Warum? Die Vielfalt der kuratierten v.a. tschechischen Produktionen war beeindruckend für mich. Bei fast allen gesehenen Produktionen hat es mir sehr gut gefallen, dass es tolles „Theater“ war, welches sich trotz eines hohen Anspruchs nicht zu ernst nahm. In Deutschland vermisse ich manchmal den ironischen Umgang mit sich selbst als Künstler*in der freien darstellenden Künste. Diese Selbstironie war zu meiner großen Freude in vielen gezeigten Stücken zu sehen.
Meine Empfehlungen für die bayerisch-tschechische „ČZ-BY-Platform for the Independent Performing Arts“ sind, dass es sehr schön und gewinnbringend ist, mit tschechischen Künstler*innen, Kurator*innen und Produzent*innen einen Austausch zu beginnen. Dabei sollten wir in Bayern so mutig sein, Produktionen auch in den ländlichen Raum oder in Kleinstädte einzuladen – vgl. die tolle Initiative NOVÁ SÍŤ, die neben Prag auch im tschechischen ländlichen Raum aktiv ist.

Ich denke, dass es auch wichtig und spannend ist, die sprachliche Barriere beim Einladen von tschechischen Produktionen zu ignorieren und auch tschechisches Sprechtheater einzuladen. Denn es kann eine von mir wahrgenommene „Hierarchie“ vielleicht etwas abzubauen helfen: In Prag gibt es ganz viele Menschen, die ein bisschen Deutsch sprechen und dies auch gerne machen. Wir in Bayern haben fast nie oder nie die Gelegenheit, einmal Tschechisch zu hören, obwohl die Landesgrenze sehr niedrig und so nah ist.

Paulina Platzer, Künstlerin aus München und vfdkb-Vorständin: „Die bayerische Delegation zu Besuch auf dem Malá Inventura-Festival in Prag“

Den Spielplan während unseres Besuchs dominierten gesellschaftskritische Produktionen über kritische Männlichkeit und Genderzuschreibungen. Überraschendes Highlight war die Kindertheaterinszenierung „Microworlds“ von Jazmína Piktorová und Sabina Bočková, die das Publikum auf eine gemeinsame Schatzsuche einluden und auf magische Weise in ihren Bann zogen.

Das vielseitige Programm des Festivals wurde durch unterschiedliche Vernetzungsformate ergänzt. Eine Speeddatingrunde ermöglichte den direkten Kontakt zu den Künstler*innen, eine Walking-Tour führte zu insgesamt drei der über 200 Spielorte der freien Szene in Prag.
Die Tschech*innen bestachen durch ihre Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Buffet, Lunchpakete und Sektempfänge gehörten ebenso zum Programm wie die Kunst.

Durch unseren Austausch in Prag sind wir dem Ziel der Kooperationsplattform, zukünftig vielseitige Verbindungen zwischen Kulturschaffenden, Organisationen und Spielorten zu schaffen und gemeinsame künstlerische wie kulturpolitische Projekte zu unterstützen, definitiv ein ganzes Stück näher gekommen.

Friederike Engel, Leiterin der Tafelhalle Nürnberg: „Retro-Perspektive: Malà Inventura-Festival“

Rund 160 internationale Gäste, ein Speed-Dating mit 25 tschechischen Künstler*innen bzw. Kompanien, das reguläre Programm mit täglich sechs bis acht Vorstellungen an 16 verschiedenen Spielorten. Was sich sehr bescheiden „kleine Bestandsaufnahme“ (Malà Inventura) nennt, ist eigentlich ziemlich groß(artig). Selten konnte ich bei einem Festivalbesuch in so kurzer Zeit ein so gutes Gefühl für die Szene vor Ort entwickeln und mich gleichzeitig aufgrund der zahlreichen gelungenen Netzwerkveranstaltungen so intensiv mit den anderen Festivalgästen auseinandersetzen. Vielleicht liegt es an der eher zentral ausgerichteten Kulturpolitik Tschechiens, die sich stark auf Prag fokussiert (bei manchen tschechischen Gästen aus anderen Regionen klang das an), dass eine solche Sichtbarkeitsplattform geschaffen werden kann. In Deutschland „fehlt“ das oder zerfällt zu sehr in die Vielstimmigkeit der einzelnen Bundesländer und auch in ein oft zu restriktives Spartendenken. Insbesondere die Möglichkeit für die ansässigen Künstler*innen, sich den internationalen Gästen auch jenseits ihrer Vorstellungen präsentieren zu können, habe ich für eine potentielle Zusammenarbeit als sehr wertvoll erlebt.

Als Veranstalterin und Koproduzentin bekommt man auf diesem Weg ein Gefühl dafür, wie eine Kompanie wirklich tickt und erst das macht eine intensivere Kooperation, die idealerweise über das schlichte Booking eines Gastspiels hinausreicht, vorstellbar. Gleiches gilt für die Einblicke in die Arbeitsstrukturen einzelner Veranstaltungsorte, die wir in einer gelungenen Guided Tour kennenlernen durften. Und wenn überhaupt ein Wunsch übriggeblieben ist, dann vielleicht der, einen globaleren Überblick über das Theatersystem, die generellen Förderpolitik Tschechiens und eventuell die konkrete Festivalarbeit zu bekommen. Aber das wirklich nur als Anregung am Rande.

Mit ein paar Tagen Abstand kann ich sagen: Ich habe dank dreier Festivaltage bei Malà Inventura fast einen besseren Einblick in die Arbeit der Freie Szene Tschechiens/Prags bekommen als ich ihn in die der bayerischen Szene habe. Dieses Gefühl stimmt mich nachdenklich – ist aber großer Motor für die weitere Zusammenarbeit am bayerisch-tschechischen Projekt, für das wir uns vielleicht noch sichtbarer machen müssen – auch untereinander.