Voneinander lernen statt resignieren – Der vfdkb in Tschechien

Eindrücke vom Besuch der bayerischen Delegation des Verbands Freie Darstellende Künste Bayern e.V. in Pilsen und Prag im Juni 2023

Im Rahmen der Bavarian-Čzech-Platform for the Independent Performing Arts besuchte eine Delegation des vfdkb vom 05. bis 09. Juni 2023 Pilsen und Prag. Unsere Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen lernten dabei verschiedene Spielorte der freien Szene Tschechiens kennen, knüpften neue Kontakte und durften innovative Produktionen bayerischer Künstler:innen auf tschechischen Bühnen erleben.

Zwei unserer Delegierten, Felix Forsbach und Paulina Platzer, berichten von ihren Erlebnissen in Tschechien:

Felix Forsbach, Freier Schauspieler (Bamberg)

In der knappen Woche unseres Besuchs in den Städten Plzen und Praha waren wir Gäste einer internationalen Konferenz der freien darstellenden Künste, verantwortet durch den tschechischen Verband „And. Čr“ und „EAIPA“ (European Association of the Independent Performing Arts). Dabei hatten wir erneut Gelegenheit, sowohl bayerische als auch tschechische Produktionen der freien Szene zu besuchen. Die Eindrücke lassen sich insgesamt unter dem mit einem enormen Potenzial versehenen “voneinander Lernen” subsumieren.

Wir können von der umfassenden Gastfreundschaft der tschechischen Gastgeber:innen lernen. Wir wurden sowohl bei der Konferenz als auch im Besonderen in den Theatern so herzlich und offen empfangen. Ich hoffe, dass wir diese Gastfreundschaft, welche sowohl die Unterbringung als auch die Führungen durch Spielorte und Städte umfasste, erwidern, wenn die tschechische Delegation im November Bayern besuchen wird. Die Offenheit der Ansprechpartner:innen und das Interesse an einem Austausch der Nachbarländer Bayern und Tschechien war bei allen Begegnungen sehr präsent. Es werden beispielsweise Sorgen bzgl. der Sprachbarrieren dadurch nivelliert, dass zahlreiche von mir besuchte Produktionen mit Untertiteln oder durch die Klarheit der Körpersprachen unbegründet sind. Wir verstehen uns auch ohne die gleiche Sprache. Es würde mich freuen, wenn wir auch in Bayern Produktionen als Gastspiele einladen können, die uns den Klang der Sprache unseres Nachbarn näher bringen.

Als große Inspiration ist für mich außerdem zu erwähnen, dass wir z.B. durch den geplanten “Staff Exchange” von dem produzierenden Willen in tschechischen Spielstätten lernen können. Dies umfasst alle besuchten Spielorte. Beispielsweise im “Depo2015” war trotz der Größe und Professionalität die Improvisation bei der Ermöglichung von Produktionen sehr beeindruckend. Ebenso das “Studio Alta”, welches ein außerordentlich progressives Programm in einem temporär nutzbar gemachten Leerstand kuratiert. Dieser Spielort war für mich das beste Beispiel für ein bayerisches Lernen. Es benötigt für die Präsentation von international relevanten und hochkarätigen Produktionen der freien Szene kein “perfekt” saniertes Haus, sondern es kommt auf den Willen und die inhaltliche Kuration an nicht auf die Rahmenbedingungen. Dies wünsche ich mir seit Jahren für Bayern: Mehr kurzfristige Bespielung von Leerständen, ein Ausprobieren und ein Scheitern. Wenn künstlerische Programme in einem Theater, welches kaum saniert ist, scheitern, ist es ein großer Unterschied zum jahrelangen Erkämpfen von Spielorten und teuren Sanierungen, in denen Programme dann ebenso scheitern können. Da muss Bayern lernen und zwar am Modell Tschechien. Ebenso ist die Einbeziehung der Theater in der Fläche in Tschechien ein Erfolgsmodell, von welchem Bayern viel lernen kann. Dies hat mit der sehr guten Vernetzung der tschechischen Künstler:innen und Häuser zu tun.

Credits: Michaela Seifert

Der Besuch der Konferenz EIAPA lässt ein ambivalentes Gefühl bei mir zurück. Viele Themen und Probleme in den freien darstellenden Künsten sind in verschiedenen europäischen Ländern ähnlich und zum Teil noch prekärer und existenzieller als in Deutschland. Im Bezug auf die Bavarian-Čzech-Platform for the Independent Performing Arts sind für mich vor allem drei Vorträge der Konferenz bemerkenswert: Sowohl Stefan Prohov aus Bulgarien, als auch Diana Palm des Bundesverbands freie darstellende Künste e.V. beschäftigten sich mit der Herausforderung der nachhaltigen Produktion von Theaterproduktionen in den freien darstellenden Künsten. Dies zu berücksichtigen ist aufgrund der guten Bahnverbindungen und der geringen Distanzen zwischen Bayern und Tschechien für den grenzüberwindenden Austausch naheliegend. Statt weiterer europäischer Touren, die in jedem Fall wichtig für den Austausch sind, hat ein intensiverer Austausch von Theaterproduktionen zwischen Bayern und Tschechien ein sehr großes Potenzial. Es können mit geringen ökologischen Schäden Gastspiele in Bayern und Tschechien ausgetauscht werden und so die Beziehungen der Nachbarländer intensiviert werden. Einen Zusammenhang zwischen Förderstrukturen, Nachhaltigkeit und den Konsequenzen aus der Covid-19 Pandemie stellte der Münchner Wissenschaftler Thomas Fabian Eder dar. Aus seinem Vortrag heraus wird sehr deutlich, dass ein Lernen aus der Covid-19 Pandemie sehr schnell wieder verpuffte. Es müssten im Sinne der Nachhaltigkeit und auch im Sinne der besseren Arbeitsbedingungen die förderbedingten Produktionszwänge verringert und längerfristige Residenzprogramme (die in Tschechien bereits viel breiter vertreten sind als in Bayern) geschaffen werden. Ein Lernen aus den sehr guten Neustart Kultur- Programmen ist aus meiner Sicht essentiell für eine inhaltliche und organisatorische Weiterentwicklung der freien darstellenden Künste.

Neben den bereits erwähnten Erkenntnissen aus dem Besuch in Tschechien bleiben noch zwei weitere Punkte bei mir hängen: (1) Das transgenerationale Lernen zwischen Teilnehmer:innen, die bereits Ü70 sind und auf der anderen Seite Teilnehmer:innen, die Anfang 20 sind. Dieses voneinander Lernen bietet große Chancen für alle Künstler:innen. Neben dieser für mich sehr besonderen Erkenntnis bleibt außerdem (2) die Aussage des Leiters des Archa Theaters in Praha hängen. Die bayerischen Delegierten waren erschrocken und erschüttert, als er berichtete, dass das Archa Theater Ende des Jahres seine Pforten schließt und etwas Neues, eher ein Soziokulturzentrum, dort entstehen wird. Seine positive Haltung gegenüber der Veränderung und eine sichtbare Resilienz bei Veränderungen ist ein Vorbild für mich und sicher eine allgemeine Herausforderung der kommenden Jahre in den freien darstellenden Künsten.

Mein Fazit des Besuchs ist: Wir sollten offen sein für Neues, für Neues aus Tschechien und nicht in den bayerischen bzw. freien Theaterstrukturen, Förderungen, Spielplänen verharren und resignieren. Dann kann es nur gelingen – in Bayern, in Tschechien und in der Zusammenarbeit von tschechischen und bayerischen Künstler:innen.

Paulina Platzer, Vorsitzende des vfdkb (München)

Nach einem ersten Besuch der bayerischen Delegation in Prag im Rahmen des Malá Inventura Festivals im Februar und einem Gegenbesuch der tschechischen Delegation in Bayern freuten wir uns über den erneuten Austausch in Pilsen und Prag. Die gesamte Reise stand unter dem Motto der Vernetzung. So nutzten die Kunstschaffenden aus München, Erlangen, Nürnberg, Bamberg und Regensburg bereits die Zugfahrt nach Pilsen, um sich im ersten Schritt innerhalb der bayerischen Delegation zu vernetzen, bevor im nächsten Schritt die Begegnung mit den tschechischen Kunstschaffenden auf dem Programm stand.

Wenn Installationen die Innenhöfe schmücken, Kultur unter Lichterketten stattfindet und die Theaterräume mit eigenen Bars und Cafés immer gleichzeitig Orte der Nachbarschaft und Begegnung sind, ist man in Tschechien angekommen. Davon konnte sich die bayerische Delegation bereits bei ihrer ersten Spielort-Besichtigung im Depo2015 in Pilsen überzeugen. Die ehemalige Zuckerfabrik, die später als Lagerhalle für Busse diente, wurde zum Kulturareal umfunktioniert, als Pilsen 2015 den Titel „Kulturhauptstadt“ erhielt. Ein weitläufiger Innenhof mit gemütlichen Sitzgelegenheiten zwischen mit Bäumen bepflanzten Autos lud zum Verweilen ein. Das Innenleben des Kulturareals zeichnete sich durch Multifunktionalität und Wandelbarkeit aus. Neben unterschiedlichen Ausstellungsräumen fanden sich Werkstätten, Ateliers, kleine Läden mit nachhaltigen Konzepten, eine Bar sowie eine große Halle, die für Konzerte, Events und Performance vermietet wird.

Nach einer kurzen Stärkung im hauseigenen Café führte Petr Dlouhy die bayerische Delegation in die Moving Station. Die ehemalige Wartehalle wurde zum Theater umgebaut, nachdem die Ruine 2000 mit großem Erfolg im Rahmen eines tschechischen Theaterfestivals bespielt worden war. Neben einer Bühne sowie Proben- und Workshopräumen beherbergt die Moving Station auch ein eigenes Appartement für Gastkünstler:innen und Residencies. Nach einer Führung durch das Theater besuchte die Delegation die tschechische Zirkus-Performance „Meringue and Pickles“. In einem gemütlichen Setting mit Pizza und Getränken aus der Theaterbar folgte ein Nachgespräch mit den Performerinnen und dem künstlerischen Leiter der Moving Station sowie ein kurzer Film über die aufwändige Renovierung des Gebäudes.

Am nächsten Morgen setzte die Delegation ihre Reise von Pilsen nach Prag fort. Der erste Programmpunkt des Tages war der Besuch des zukünftigen Kulturzentrums Velky Mlyn. Das Erdgeschoss der ehemaligen Mühle soll in naher Zukunft als Bibliothek dienen, im Keller befindet sich ein Aufführungsraum für Performances und Konzerte. Die bayerische Delegation wurde sehr herzlich mit einem reichhaltigen Buffet und Welcome-Drinks zu einem ersten großen Vernetzungstreffen empfangen. Unter die Delegation mischten sich in ungezwungener Atmosphäre internationale Kunstschaffende, Redner:innen sowie Besucher:innen der „And. Čr & EAIPA Konferenz“. Zum Abschluss des zweiten Tages besuchte die Delegation die Performances „Visual Vibrations“ von Kassandra Wedel und Rosalie Wanka sowie „Headless Mule“ von Martin Talaga im Studio Alta, einer ehemaligen Brauerei, die erst wenige Wochen zuvor eröffnet worden war.

Der dritte Tag begann für die Delegation im Vzlet Theater. Das ehemalige Kino wurde nach Renovierungsarbeiten 2021 als Theater eröffnet und diente an diesem Tag als Austragungsort der „And. Čr & EAIPA Konferenz“. Internationale Redner:innen hielten Impulsvorträge und diskutierten in Podiumsdiskussionen. Thematisiert wurden Herausforderungen und Potenziale im europäischen Vergleich, Diversität und die BY-ČZ-Platform als Vernetzungsstrategie. Im Anschluss der Konferenz setzte die Delegation ihre Spielort-Tour durch Prag fort und besichtigte das Archa Theater. Ebenso wie am Vortag folgten zwei Performances. Die Delegation besuchte die tschechische Performance „8 Compositions“ und „Alien Reality“ von Daniela Aue als Gastspiel im Rahmen der tschechisch-bayerischen Plattform. Petr Dlouhy hatte vor der Vernetzungsreise Interessen und Wünsche der bayerischen Delegation abgefragt und bewies sich als Meister des Match-Makings. Entsprechend der individuellen Angaben wurden unabhängig vom gemeinsamen Programm der Delegation einzelne Vernetzungstreffen mit tschechischen Akteur:innen der freien Szene organisiert. Der Grundstein für zukünftige Kooperationen war gelegt.

Am nächsten Tag folgte der zweite Teil der „And. Čr & EAIPA Konferenz“ im Vzlet Theater. Besprochen wurden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Arbeitsbedingungen und Ästhetik der freien darstellenden Künste, Nachhaltigkeit und gerechte Arbeitsbedingungen in Europa. Am Nachmittag teilte sich die Delegation auf, um unterschiedliche Performances zu besuchen. Auf dem Programm stand die zeitgenössische Zirkus-Performance „CM_30“ von Kolia Hunek im Theater Bravo als Gastspiel im Rahmen der bayerisch-tschechischen Plattform sowie die tschechische Kindertheaterproduktion „The Jungle Book“ im Theater Azyl78. Bevor sich die Wege der Gruppe am nächsten Tag (vorerst) wieder trennen sollten, traf sich die Delegation mit allen neu geknüpften internationalen Kontakten zu einer gemeinsamen Abschlussparty.

Um viele Eindrücke, Inspirationen und zukünftige Kooperationspartner:innen reicher trat die bayerische Delegation ihre Heimreise an. Nun bleibt mit Freude abzuwarten, welche spannenden Projekte zwischen den tschechischen und bayerischen Kunstschaffenden in Zukunft auf dem durch die BY-ČZ-Platform gelegten Grundstein aufgebaut werden.

Zum VIDEO zur Veranstaltung geht’s HIER.